wabi-sabi—exploration of a Japanese aesthetic
[notice: this website is currently under construction. please don’t be irritated about place holders or empty spots. thanks a lot!—wanda]
[introducing text.]
Einleitung
»Es ist, als würden Menschen aus dem Westen zu Beginn einen klaren Kreis ziehen, den sie dann mit Inhalten füllen,« erklärte mir einTeemeister vor wenigen Jahren in einem Gespräch über Herangehensweisen an kreatives Schaffen. »Japaner jedoch beginnen mit einzelnen Punkten, die sich dann zu einem Kreis entwickeln.«
Diese bildhafte, mit Gesten untermalte Erklärung ist mir tief im Bewusstsein geblieben. Ich kann sie aus eigener Erfahrung bestätigen. Vielen Japanern scheint die Erklärung, es fühle sich richtig an, bei Entscheidungen zu genügen. Oft merke ich in mir als Europäerin dabei das Bedürfnis, mit Fragenketten nach dem Warum zu antworten.
Es ist tatsächlich so, wie es Andrew Juniper in seinem Buch ›wabi sabi—the japanese art of impermanence‹¹ beschreibt: Asiaten neigen dazu, Entscheidungen basierend auf Intuition und Emotionen zu fällen, Westler solche basierend auf Klarheit und Logik.²
Um als Westler das japanische Design zu verstehen, muss man sich zwangsläufig auf diese kulturell unterschiedlich geprägte Mentalität einlassen. Und so habe ich mich im Zuge meines Diploms dazu entschieden, mich einer der diffusesten japanischen Gestaltungstraditionen zu nähern, dem wabi-sabi.
Ich ging dafür den ›westlichen‹ Weg und las drei Bücher. Geschrieben von zwei Autoren, die aus Amerika beziehungsweise Großbritannien stammen und wagten, wovor sich Japaner scheuen: Mit geschriebenen Worten zu erklären, worum es sich bei wabi-sabi handelt.
Autoren
Andrew Juniper kam immer wieder in die Situation, dieses Konzept zu erläutern, nachdem er zusammen mit Anderen eine Galerie mit dem Namen ›Wabi Sabi‹ eröffnet hatte.³ Es benötigte Jahre, bis er sich dazu befähigt fühlte, eine angemessene Erklärung zu liefern, und entschied dann, seine Erkenntnisse zu veröffentlichen. Er beschreibt, dass Japaner es nicht als weise empfinden würden, dies überhaupt zu versuchen, es im Westen jedoch den Bedarf dafür gäbe, auf diese Weise einen Zugang zu ihren ästhetischen Idealen zu erhalten.⁴
Die beiden weiteren Werke, mit denen ich mir eben jenen Zugang für ein besseres Verständnis ermöglicht habe, stammen von Leonard Koren. Zu ›Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers‹⁵ fühlte er sich veranlasst, nachdem er sich intensiv mit wabi-sabi auseinander gesetzt hatte, das ein Freund ihm als ›Atmosphäre einer ästhetisierten Entropie‹⁶ erklärt hatte.
Durch den plötzlichen Tod seines Vaters über den Sinn des Lebens nachsinnend, erschien ihm die Fähigkeit, Schönheit zu erleben, als einer der besten Gründe zu leben. Dabei waren es vor allem die alltäglichen Dinge, deren Schönheit vor unseren Augen nur allzu oft verborgen ist, bis diese sich plötzlich in unsere Wahrnehmung drängt.⁷ Gut zwanzig Jahre später ergänzte er seine Ausführungen mit einem zweiten Buch, ›Wabi-Sabi—Further Thoughts‹⁸.
Definition
Es liegt in der Natur des wabi-sabi, nicht präzise greifbar zu sein. Mit dem Wissen, dass dieses Phänomen mit wenigen Worten nur umrissen werden kann, haben beide Autoren je eine grobe Definition verfasst, die hier als Einleitung in nähere Erklärungen dienen sollen.
»Wabi-sabi kann als ›umfassendes‹ ästhetisches System bezeichnet werden. Seine Weltsicht, oder sein Universum, ist selbstreferenziell. Es bietet einen ganzheitlichen Ansatz zur vergänglichen Natur der Existenz (Metaphysik), ehrwürdiges Wissen (Spiritualität), emotionales Wohlbefinden (Bewusstseinszustand), Verhalten (Moral) und das Aussehen und Gefühl von Dingen (Materialität).«⁹
—Leonard Koren
»Wabi sabi ist eine intuitive Anerkennung einer transzendenten Schönheit in der physischen Welt, die den unumkehrbaren Lebensfluss in der spirituellen Welt reflektiert. Es handelt sich um eine dezente Schönheit, die dem Bescheidenen, Rustikalen, Imperfekten oder gar Verwitternden innewohnt, eine ästhetische Empfindsamkeit, die eine melancholische Schönheit in der Vergänglichkeit aller Dinge findet.«¹⁰
—Andrew Juniper
Es lässt sich festhalten, dass es sich bei wabi-sabi um eine Form der Ästhetik handelt, oder genau genommen vielmehr eine Empfindsamkeit, diese zu erkennen, darüber hinaus jedoch auch eine Lebensart beschreibt, die einen zu dieser Wahrnehmung befähigt.
Ungenauigkeit der Definition
Japaner vermeiden es, diese Komplexität aus Ästhetik und Lebensweise zu beschreiben. Es gibt keine Bücher oder Lehrer, die sie beizubringen könnten.¹¹ Im Zen-Buddhismus heißt es »Die, die wissen, sagen es nicht; die, die es sagen, wissen es nicht.« Wesentliches Wissen wird nur von Geist zu Geist übermittelt, nicht durch geschriebene oder gesprochene Worte.¹²
Es ist ein wichtiger Bestandteil des wabi-sabi, eben nicht präzise und logisch zu sein. Juniper zeigt auf, dass gerade diese Uneindeutigkeit wabi-sabi zu etwas Besonderem und Ehrwürdigen macht. Die Charakteristik der japanischen Akzeptanz für und Zuneigung zur Unklarheit habe geholfen, die besondere Aura, die wabi-sabi umgibt, zu erhalten und zu kultivieren.¹³
Die Mystifizierung des wabi-sabi ist darüber hinaus auch kommerziellen Gründen geschuldet. In Japan gibt es Familien, deren Geschäfte nach dem so genannten Iemoto-Stil aufgebaut sind. Der Iemoto, das Familienoberhaupt, bekommt einenTeil der Einnahmen, die die einzelnen Lehrer von ihren Schülern erhalten.¹⁴ Der intellektuelle Besitz dieser Familien, zum Beispiel das Wissen über die Abläufe der Teezeremonie, wurde nicht erläutert und weitergegeben, es sei denn für Geld oder Gefälligkeiten.¹⁵ Die Iemoto-Familien spielten eine wichtige Rolle in der Förderung des wabi-sabi für die Kunst und verstärkten seinen Wert, indem sie es in etwas Geheimnisvolles hüllten.¹⁶
wabi und sabi
Die Worte ›wabi‹ und ›sabi‹ haben über die Jahrhunderte einige Entwicklungen erlebt. Beide hatten zunächst eine negative Bedeutung, die sich unter Anderem durch ihre Nutzung im Zusammenhang mit derTeezeremonie in etwas positives wandelte.
Das Wort ›wabi‹ stammt ab von dem Verb ›wabu‹, das ›ermatten‹ bedeutet, und dem Adjektiv ›wabishii‹, das genutzt wurde, um Empfindungen von Einsamkeit, Aussichtslosigkeit und Armseligkeit zu beschreiben.¹⁷ Es bedeutete das Elend, allein und verarmt in der Natur zu leben, und deutete einen entmutigenden, trostlosen emotionalen Zustand an.¹⁸ Die positive Konnotation des Begriffes entwickelte sich in der Kamakura- (1185–1333) und der Muromachi-Periode (1333–1568), in denen es nun als etwas positives galt, ein Leben frei von materiellen Welt zu führen.¹⁹
Die ursprünglichen Bedeutungen von ›sabi‹ ist ›frostig‹, ›mager‹ und ›verwelkt‹.²⁰ Im 13. Jahrhundert war ›sabi‹ zu einem künstlerischen Ideal in der japanischen Poesie geworden und die verknüpften Empfindungen übertrugen sich von dort auf andere Künste wie Literatur, Malerei und Theater.²¹ Es beschrieb nun zum einen, an dem Gefallen zu finden, das alt, verblasst und einsam ist, sowie ›die Schönheit von verwelkten Dingen‹, jenen, die abgenutzt, unvollständig, nicht perfekt, gedämpft und unangepasst waren.²² ²³
Um das 14. Jahrhundert hatten sich beide Begriffe als etwas Positives etabliert. Beide Worte haben sich über die Jahrhunderte so sehr entwickelt, dass sie heute eine gewaltige Menge an Ideen und Emotionen ausdrücken, die offener sind für eine persönliche Interpretation als fast jedes andere japanische Wort.²⁴
Eine Trennung der beiden Begriffe ist nur schwer möglich. Wenn Japaner heute ›wabi‹ sagen, meinen sie auch ›sabi‹ und umgekehrt. Am geläufigsten jedoch ist ihre Verbindung als ›wabi-sabi‹.²⁵ Ich folge hierbei der lateinischen Schreibweise Leonard Korens mit Bindestrich, der der Meinung ist, dies würde die ästhetische Synthese verdeutlichen.²⁶
Würde man beide Begriffe jedoch voneinander unterscheiden, wäre die Trennung folgende: ›Wabi‹ bezieht sich auf die Lebensart, das Innere, Subjektive und ein philosophisches Konstrukt sowie auf räumliche Gegebenheiten. ›Sabi‹ verweist auf materielle Objekte, Kunst und Kultur, das Äußere, Objektive und ein ästhetisches Ideal sowie auf zeitliche Begebenheiten.²⁷
Geschichte
Ein umfangreicheres Verständnis über ›wabi sabi‹ und besonders seiner nicht sichtbaren Natur erfährt man in der Betrachtung des Taoismus und Zen-Buddhismus, die auf die Vorstellungen dieser Ästhetik-Lehre abgefärbt haben. Beide Glaubensrichtungen basieren auf den Ideen von Einfachheit, Natürlichkeit und der Akzeptanz der Endlichkeit. Gestalterische Einflüsse besitzt Wabi-Sabi zudem aus der Atmosphäre der Melancholie und des Minimalismus chinesischer Poesie und einfarbigen Tuschezeichnungen aus dem 9. und 10. Jahrhundert. Im späten 16. Jahrhundert wuchsen diese separaten Elemente zu einer japanischen Synthese zusammen.²⁸
Zen
Der Zen-Buddhismus hat seinen Ursprung in Indien, gelangte im 6. Jahrhundert nach China und von dort aus im 12. Jahrhundert nach Japan.²⁹ Dort entwickelte er sich weiter und nahm Aspekte des Konfuzianismuses, Taoismuses und sogar Shintoismuses auf.³⁰
Zen geht davon aus, dass die duale Welt, die Menschen bereits als Kinder gelehrt bekommen, indem sie zwischen sich und ihrer Umwelt zu unterscheiden lernen, eine Illusion darstellt. Diese Illusion führt zu einem Leid, das durch das Erkennen der Wahrheit abgelegt werden kann. Zu erreichen ist dies mittels Meditation, mit der das ›Mushin‹ erreicht werden kann, was wörtlich ›ohne Herz‹ bedeutet und beschreibt, frei von weltlichen Abhängigkeiten und Verlangen zu sein.³¹ Dafür werden selbstgewählte Armut, Bescheidenheit und Demut gepriesen.³² Große Rolle übernimmt dabei ›Mujo‹, der buddhistische Grundsatz, dass sich alles in einem kontinuierlichen Fluss befindet und dass das Leben vergänglich ist.³³
Diese Vorstellungen spiegeln sich in der Gestaltung wider. Es werden stille Farben unterstützt sowie der Einsatz von einfachen Gegenständen und die Reduzierung von Ausdruck.³⁴ Das ›Mujo‹ findet sich in den feinen Farbnuancen wieder, in den Kurven eines sich öffnenden Blütenblattes, im Riss einer Bambusvase oder in einem verrottenden Astlochs in einem alten Stück Holz.³⁵ All dies sind Ideale, die sich auch im wabi-sabi finden lassen.
Taoismus
Die Taoisten in China folgten einer praktisch orientierten Lebensweise, indem sie in Harmonie mit der Natur lebten. Auch sie studierten den Fluss des Lebens, da es ihrem Glauben nach nur so möglich ist, eins zu werden mit dem Tao, jener mystischen Kraft, die alle menschlichen Leben leitet.³⁶
Teekultur
Größte Bedeutung für die Entstehung des wabi-sabi besitzt die japanische Teekultur. Tee gelangte aus China durch Zen-Mönche nach Japan, die ihn zeremoniell tranken, um bei Meditationen wach zu bleiben.³⁷ Erst danach breitete sich die Teekultur in der höheren Gesellschaft aus. Als Teeutensilien wurden teure Importe aus China verwendet.
Einen Umschwung in dieserTradition gab es in der Sengoku-Ära (1466– 1598), einer Zeit mit vielen sozialen und politischen Unruhen, in der nahezu durchgehend Krieg geführt wurde. Dabei wurden auch viele Teeutensilien zerstört. Verbunden mit der Ästhetik des Zen entstand aus der Not eine Tugend und als Ersatz nutzte man japanische Gegenstände, die oft ursprünglich nicht als Teeutensilien produziert worden waren. Sie besaßen eine raue Oberfläche und waren offensichtlich weniger kunstfertig, dafür jedoch verfüg bar und günstiger.³⁸
Die Ästhetik im ›wabi-Tee‹ lebte von seinen Kontrasten: Ausländische Gegenstände wurden mit inländischen gemischt, glatte mit rauen, teure mit günstigen, und so weiter.³⁹ Erster aufgezeichneter Teemeister dieser Tradition war Murata Shuko (auch Murata Juko, 1423—1502), ein Zen-Mönch aus Nara. Er verwendete bewusst unaufdringliche, lokal produzierte Produkte.⁴⁰
Es war jedoch erst Sen no Riyku, der ›wabi-sabi‹ und die damit verbundene Teekultur zur Hochform brachte. Als Sohn eines Kaufmannes entwickelte er sein Interesse für Tee im Alter von 17 Jahren. Erst durch seinen Einfluss wurden rohe und anonyme japanische und koreanische Gegenstände aus Volkshandwerks auf die gleiche Ebene mit den dünnen, glatten chinesischen Schätzen gestellt oder gar höher bewertet. Außerdem entwickelte er eine neue, deutlich kleinere Variante des Teehauses basierend auf einer Bauernhütte mit rauen Schlammwänden, strohgedecktem Dach und unförmigen Holzelementen, die gezeigt und nicht verkleidet wurden.⁴¹
All diese Entscheidungen vermitteln die Prinzipien des wabi-sabi ebenso wie die damalige Teezeremonie, die nur einfache Instruktionen besaß und jedem Teemeister viele Freiräume einräumte.⁴² Man kann aufgrund des klaren Kontrasts des ›wabi-sabi‹ zu der damals etabliertenTeekultur von einer Anti-Ästhetik sprechen, die Koren ausnahmslos als von jungen, modernen, kreativen Seelen kommend bezeichnet und eine Verbindung zum Beat, Punk und Grunge herstellt.⁴³
Nach Rikyus Tod wurden die einzelnen Schritte derTeezeremonie minutiös festgelegt, womit gerade jene Eigenschaft, persönliches Urteil und Vorstellungskraft zuzulassen, verschwand, die für wabi-sabi sehr wichtig ist. Durch die Teeschulen, von denen jede beanspruchte, den einzig richtigen Weg zu lehren, verkehrte sich die Ästhetik quasi in ihr Gegenteil, wurde glatt und prachtvoll. Es muss jedoch eingestanden werden, dass es diesen Schulen zu verdanken ist, dass wabi-sabi bis heute erhalten wurde—ganz besonders trotz des Einflusses der westlichen Moderne.⁴⁴
Eigenschaften
Wie bereits erwähnt, ist wabi-sabi eine gestalterische Ästhetik, der jedoch eine durch den Zen geprägte Weltanschauung zugrunde liegt. Mehr noch jedoch ist wabi-sabi eine Sache der Wahrnehmung, die ›geschieht‹ wenn die konditionierten und angewöhnten Sehweisen wegfallen und Schönheit dort sichtbar wird, wo man sie zuvor als unbedeutend wahrgenommen hat.⁴⁵ Ein Objekt besitzt den Zustand des wabi-sabi nur in dem Moment, in dem es als solches gewürdigt wird.⁴⁶ Nichts desto trotz gibt es gestalterische Richtlinien, die etwas benötigt, um diesen Moment möglich zu machen.
1. individuell
Es gibt keine vorgeschriebenen Formeln. Gegenstände besitzen keine einheitliche, regelmäßige Formen, sind einzigartig und variabel. Metaphorisch kann wabi-sabi durch eine Schale dargestellt werden: Eine offene, freie Form.⁴⁷
2. einfach
Die Gestalt ist einfach, besitzt keine unnötige Dekoration und keine Symbolik. Sie entspricht einem abstrakten, gegenstandslosen Schönheitsideal, ist undefiniert und oft nicht oder nur wenig bearbeitet. Dafür werden frei verfügbare Materialien verwendet.⁴⁸
3. natürlich
Die Natur wird romantisiert und als unkontrollierbar erachtet. Menschen passen sich ihr an—nicht umgekehrt. Dies spiegelt sich sowohl in Materialien als auch in der Formgebung wider. Dinge des wabi-sabi besitzen eine weiche, vage und asymmetrische Form, die kein Künstlertum darstellen, sondern die Natur erkennen lassen. Ihr Entstehungsprozess geschieht auf natürliche, ungezwungene Weise. Die Vergänglichkeit aller Dinge ist in diesen offensichtlich. Texturen zeigen, dass die Materialien durch natürliche, individuelle Prozesse entstanden sind. Ihre Oberfläche ist nicht perfekt, rau, robust und grob, unregelmäßig, belebt und vielfältig.⁴⁹
4. vergänglich
Alles wabi-sabi kommt aus dem Nichts oder wird zu diesem. Tendenziell erscheinen die Dinge, die zerfallen, sich also zum Nichts entwickeln, dunkler, leiser und schleierhaft. Die Dinge, die sich herausbilden tendieren dazu, etwas heller und strahlender zu sein und etwas mehr Aufmerksamkeit zu erregen. Im endlosen Strom der Zeit gibt es jedoch keinen Anfang und kein Ende, kein ›abgeschlossen‹ oder ›vollständig‹. So werden verrottende Pflanzen zu Kompost, aus dem neues Leben erwächst.
Zeichen der Abnutzung sind so also überaus erwünscht. Korrosion und Kontamination bereichern den Ausdruck, selbst am schwachen Punkt der Zerfalls zeigt sich unvermindert Gelassenheit und Charakterstärke. Alles besitzt eine Saison, nichts ist beständig und es gibt auch keinen Fortschritt. Wabi-sabi geschieht im Moment, es ist gegenwartsbezogen.⁵⁰
5. bescheiden
Wabi-sabi ist zurückhaltend und bescheiden, unaufdringlich und anspruchslos. Es koexistiert mit seiner Umgebung und liegt nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Man möge sich auf das Nötigste reduzieren, nur minimale Akzente setzen und diesen genügend Raum geben. Dem ›Nichts‹ sollte Platz gelassen werden. Die Schönheit zeigt sich in den kleinsten, unmerkbarsten Einzelheiten. Es geht um das Kleine, das Versteckte und Zaghafte, um die kurzlebigen Dinge, die so fein und flüchtig sind, dass sie für das ungeübte Auge unsichtbar sind.
Gegenstände werden im direkten Kontakt gewürdigt und nicht in Museen weggeschlossen. Sie benötigen keine Herkunftsurkunde, am besten ist es gar, wenn der Erschaffer nicht erkennbar ist.⁵¹
6. unhierarchisch
Im Teehaus wurde die Hierarchie aufgehoben. Auch Händler, die niedrigste soziale Klasse, waren hier mit Aristokraten, Kriegern und Geistlichen gleichgestellt. Die talentiertesten und einflussreichsten Teemeister stammten aus der Händlerklasse, weswegen man Wabi-Tee auch ›Tee der Händler‹ nannte.
Auch besitzt Material hier einen anderen Wert als außerhalb des Teehauses. Im wabi-sabi haben Schlamm, Papier und Bambus mehr Qualität als Gold, Silber und Diamanten.⁵²
7. unkonventionell
Es ist eine Schönheit jenseits der konventionell geprägten Betrachtungsweise. Die Pioniere des wabi-sabi suchten nach Beispielen, die als hässlich angesehen wurden und entwickelten sie zu etwas Schönem. Zum Beispiel, indem sie eine zerbrochene Schale wieder zusammenklebten. Diese Dinge wirkten oft merkwürdig, ungeformt oder ungeschickt.
Wabi-sabi ist durchaus zwiespältig, wenn es um die Trennung von Schönem und Hässlichem geht. Es geht darum, das anzunehmen, was womöglich als unästhetisch empfunden wird. Schönheit ist ein dynamisches Ereignis, das zwischen einem selbst und etwas anderem statt findet. Sie kann unter den richtigen Umständen und einer offenen Betrachtungsweise spontan erscheinen. Schönheit ist also ein anderer Bewusstseinszustand, ein besonderer Moment von Poesie und Anmut.⁵³
8. persönlich
Wabi-sabi wird überwiegend im privaten Raum geäußert. Die Gegenstände sind für gewöhnlich klein und kompakt, leise und nach innen gerichtet. Funktion und Nützlichkeit sind nicht so bedeutend. Vielmehr locken sie danach, sie zu berühren und eine persönliche Beziehung zu ihnen aufzubauen, den Abstand zwischen Menschen und Dingen zu verringern. Die Räume sind klein, friedlich, beruhigend und stellen eine abgetrennte Welt dar: nirgendwo, irgendwo, überall.⁵⁴
9. dunkel und ungesättigt
Die Farben und Gerbstoffe stammen aus natürlichen Quellen. Sie sind generell dunkel, getrübt und diffus, ungesättigt und matt und nicht gleichmäßig. Weniger häufig sind hellere, nahezu pastellige Farben, die das Gefühl vermitteln, gerade aus dem Nichts entstanden zu sein. Das gebrochene Weiß ungebleichter Baumwolle oder recyceltes Papier. Im Kontrast dazu gibt es ein unendliches Spektrum an Grau-, Braun- und Schwarztönen.⁵⁵
10. spirituell
Wabi-sabi suggeriert die feinsten Bereiche und Dynamiken der kosmischen Ordnung mehr, als unsere gewöhnlichen Sinne es wahrnehmen können. Die verwendeten Materialien rufen dieses transzendente Gefühl hervor wie Reispapier, das Licht nur als diffusen Schimmer hindurch lässt, die Art, wie Ton Risse bekommt, wenn er trocknet, die Farben und textuelle Metamorphosen von Metall, wenn es anläuft und rostet.⁵⁶
Schlussfolgerung
Die Auseinandersetzung mit wabi-sabi ermöglicht es, sowohl die japanische Gestaltung als auch die Mentalität ihrer Erschaffer besser verstehen zu können. Obgleich viele von ihnen sich mit Sicherheit nicht besonders intensiv mit dieser eigenen Gestaltungstradition beschäftigen, sind die diffusen Einflüsse dennoch spürbar. In natürlichen Stoffen mit gedeckten Farben, in der Stille in Fotos von undefinierten, kaum etwas zeigenden Momenten oder des Zulassens von Patina.
Lernen, selbst wabi-sabi anzuwenden, kann man dabei jedoch nicht. Zwar ist es möglich, sich davon für seine eigenen Werken gestalterisch inspirieren zu lassen, es zu ›erschaffen‹ ist jedoch nicht möglich. Wie Koren es treffend formuliert: Selbst wenn Dinge bewusst so gestaltet wurden, dass sie in eine wabi-sabi-Umgebung passen, ist es niemals der Entwickler, der darüber entscheidet, ob etwas wirklich wabi-sabi ist oder nicht. Dies entscheidet nur der individuelle Betrachter.⁵⁷
- Andrew Juniper: wabi sabi—the japanese art of impermanence, Tuttle Publishing, Vermont 2003, Erstauflage
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 48
»While Asians tend to prefer intuition and emotion-based decision making, there is in the West an underlying preference for clarity and logic that goes hand in hand with the deference for science.« - Informationen über die Galerie lassen sich außerhalb seines Buches nicht finden.
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite vii
- Leonard Koren: Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Imperfect Publishing, Point Reyes 2008, Neuauflage (Erste Auflage 1994)
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 41f
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 38
- Leonard Koren: Wabi-Sabi—Further Thoughts, Imperfect Publishing, Point Reyes 2015, Erstauflage
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 41
»Wabi-sabi can be called a ›comprehensive‹ aesthetic system. Its world view, or universe, is self-referential. It provides an integrated approach to the ultimate nature of existence (metaphysics), sacred knowledge (spirituality), emotional well-being (state of mind), behavior (morality), and the look and feel of things (materiality).« Außerdem heißt es weiter: »The more systematic and clearly defined the components of an aesthetic system are—the more conceptual handle, the more ways it refers back to fundamentals—the more useful it is.« - wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 51
»Wabi sabi is an intuitive appreciation of a transient beauty in the physical world that reflects the irreversible flow of life in a spiritual world. It is an understated beauty that exists in the modest, rustic, imperfect, or even decayed, an aesthetic sensibility that finds melancholic beauty in the impermanence of all things.« - Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 15
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 16
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 52
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 76f
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 17
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 12
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 49
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 21f
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 49
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 21
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 13
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 13f
- In ›Wabi-Sabi—Further Thoughts‹ wird darüber hinaus erläutert, dass ›wabi‹ in der Gedichtsammlung ›Man’youshuu‹ aus dem 8. Jahrhundert von einer linguistischen Wurzel abstammt, die ›sich tief und demütig entschuldigen‹ bedeutet. In der gleichen Werksammlung wird ›sabi‹ im Sinne von ›isoliert sein‹ verwendet. Die Überschneidungen der Begriffe wird hiermit noch einmal deutlich. Da sich hierzu jedoch keine andere Quellen finden lassen und die auf geführten Beschreibungen sich deutlicher auf die Bedeutung des wabi-sabi beziehen, wird dies im Aufsatz nicht näher beleuchtet.
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 47;
Juniper ergänzt, dass sie durch die jüngere Generationen sogar Konnotationen wie ›cool‹, ›geil‹ oder ›fett‹ besitzen können. - Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 22
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 84
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 23
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 31
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 76
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 23
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 22–27
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 24
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 10
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 37
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 10
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 7
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 14
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 15
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 21
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 32
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 32f
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 78; Koren vergleicht diese einfachen Beschreibungen mit den Kompositionen von John Cage.
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 9
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 34f
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 49
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 61
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 110, 118,
Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 27f - Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 26, 41,
wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 109, 115 - Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 28f, 40, 42, 45, 49f, 62,
wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 2, 109 - Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 26–28, 41, wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 106, 109f
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 41, 50, 68, wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 111, 115f
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 29, 79,
Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 61 - Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 51f, 62, 67, wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 111
- Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 26, 29, 67
- wabi sabi—the japanese art of impermanence, Seite 113,
Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 29, 41, 71 - Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Seite 57
- Wabi-Sabi—Further Thoughts, Seite 57
Anhang: Bibliografie
Andrew Juniper: wabi sabi—the japanese art of impermanence, Tuttle Publishing, Vermont 2003, Erstauflage
Leonard Koren: Wabi-Sabi for Artists, Designers, Poets & Philosophers, Imperfect Publishing, Point Reyes 2008, Neuauflage (Erste Auflage 1994)
Leonard Koren: Wabi-Sabi—Further Thoughts, Imperfect Publishing, Point Reyes 2015, Erstauflage